24. Februar 1893: in Wallerfangen wird unter Beteiligung der ca. 4.000 Einwohner in einer zweitägigen Zeremonie die neu gebaute Synagoge in Wallerfangen ihrer Bestimmung übergeben. Grund genug, auf den Tag genau 126 Jahre danach, in einem Gottesdienst dieses Tages zu gedenken.
"Ein imposanter Festzug, unter Musikbegleitung, brachte am Freitag Mittag die Torarollen aus der alten Synagoge in die neue; nachdem hier der Merziger Synagogenchor unter Mitwirkung einer Regimentskapelle, einen Fest-Hymnus zur Aufführung gebracht, ein Vorstandsmitglied die Synagoge unter den Schutz Seiner Majestät des deutschen Kaisers gestellt, öffnete der Bürgermeister die Synagoge, nachdem ihm vorher in feierlicher Weise der Schlüssel überreicht wurde." Mit diesen Worten wurde in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. März 1893 über die Einweihung der Synagoge in Wallerfangen berichtet. Die meisten christlichen Häuser hatten zu diesem Anlass Flaggenschmuck angelegt. Es ertönten Böllerschüsse, und am Abend erstrahlte das Gotteshaus in bengalischen Licht und Feuerwerk - so die Berichterstattung aus dem Jahr 1893.
Das Gebetshaus, das bis 1935 als Synagoge diente und danach bis 1950 nicht mehr zu religiösen Zwecken genutzt werden konnte, wurde im Jahr 1950 von der Neuapostolischen Kirche als Kirchenraum für die damalige Gemeinde zunächst angemietet und im Jahr 1956 von der jüdischen Gemeinde erworben. Seit dieser Zeit besteht auch eine enge und persönliche Freundschaft zwischen Vertretern der beiden Religionen.
Bischof Pascal Strobel - selbst mehrere Jahre Vorsteher der Gemeinde Wallerfangen - hatte zu einem besonderen Gottesdienst in das Kirchlein eingeladen. Neben den früheren Gemeindemitgliedern waren dieser Einladung auch die Vorsitzende der Repräsentanz der Synagogengemeinde Saar, Frau Erika Hügel, sowie der Vorsitzende des Vereins für Heimatkunde Wallerfangen, Prof. Rudolph Echt, gefolgt.
Nach dem Gottesdienst trug Frau Hügel - angesprochen auf einen kleinen Beitrag zum Tag - ganz spontan einen Text vor, den wir mit ihrer Erlaubnis nachfolgend veröffentlichen.
Gedanken über das DANKEN
Schon als kleines Kind hörte man von den Eltern: ... "nun sag' auch schön danke, wenn Du etwas geschenkt bekommst!" ... womit der Automatismus des Danksagens angelegt wurde. Ein Kind, das es nicht gelernt hat DANKE zu sagen, wenn ihm etwas geschenkt wurde, hat sich gleich schon einige Sympathien verscherzt, denn wir registrieren insgeheim, dass seine Erziehung wohl arg vernachlässigt wurde. Bis dahin ist uns das Danken ja schon sehr vertraut, Danken gehört für uns einfach zum "Guten Ton".
In Rilkes Gleichnis von der Bettlerin und der Rose wird angemerkt, dass diese stets mit abgewandtem Gesicht eine Gabe entgegennahm, ohne zu danken. Das Ergebnis war, dass Rilke und seine Begleiterin daraus schlossen, dass es wohl nicht das Richtige war, was sie ihr bisher geschenkt hatten, weil die erwartete, die gewohnte Reaktion, das Danksagen ausblieb. Auch hier sehen wir, dass insgeheim jeder auf sein Geschenk oder seine Gabe mit einem Wort des Dankes rechnet.
Ich will beileibe nicht die These aufstellen, Danken sei etwas, das es zu vernachlässigen gäbe, halte ich mich selbst doch für einen dankbaren Menschen. Doch wie oft hören wir als Reaktion, wenn wir jemandem freudigen Herzens etwas geben, etwas verschenken, die Antwort: "Ich werde mich dafür revanchieren!"
– Ich weiß nicht, wie es anderen danach ergeht? In mir kommt spontan dann das ernüchternde Gefühl hoch, nichts freudig verschenkt, sondern meine Gabe gegen einen Bonus, gegen eine Gutschrift umgetauscht zu haben. Dabei ist die freudige Überraschung meines Gegenübers, ein Lächeln meiner Freunde, Bekannten oder Nachbarn mir reiche Belohnung und Dank genug, ich möchte aber keinen Tausch vornehmen, den ich nicht angestrebt habe.
Ein türkischer Nachbarsjunge fragte mich einmal, ob ich seinen zwei kleinen Kusinen helfen könnte, die in der Schule große Probleme hatten? – "Ja," war meine Antwort, "schick' sie mal zu mir!" – Was das denn koste, wollten die Eltern wissen? – NICHTS. – Ratlosigkeit spiegelte sich in seinem Gesicht, dann so etwas wie Traurigkeit. –
Dann könnten sie leider nicht zu mir kommen, das sei gegen ihre Ehre!
Behutsam erklärte ich dem Jungen, dass seine Verwandten mich, wenn ich Geld dafür nähme, um die Freude brächten, ihnen etwas zu schenken, nämlich etwas von meiner Zeit; dass sie mich daran hindern würden etwas Gutes zu tun, ohne dafür bezahlt zu werden; dass sie damit verhinderten, dass ich mich gut fühle, und das wollten sie doch sicher nicht? Der Junge besprach das mit seinen Eltern, die meine Argumente einleuchtend fanden.
Erika Hügel
Vorsitzende der Repräsentanz der Jüdischen Gemeinde Saar
24. Februar 2019
Text:
Gerhard Grapp
Fotos:
Gerhard Grapp